Artikel aus der Science Fiction Encyclopedia
Deutsch von Hannes Riffel
Link zum Original: Samuel R. Delany
(*1942) US-amerikanischer Schriftsteller und Kritiker, der innerhalb des Genres zu den einflussreichsten und meist diskutierten Autor:innen zählt; er hat seit 1975 an mehreren Universitäten unterrichtet, lehrte Vergleichende Literaturwissenschaften an der University of Massachusetts Amherst (1988–1999), Englische Literatur an der SUNY Buffalo (1999/2000) und Englische Literatur und Kreatives Schreiben an der Temple Universität in Philadelphia (2001–2015). Sein kultureller Hintergrund ist vielfältig: Er ist schwarz, im New Yorker Stadtteil Harlem geboren und aufgewachsen und folglich mit dem schwarzen Ghetto vertraut; später ermöglichten Stipendien es ihm, die Dalton School und die renommierte Bronx High School of Science zu besuchen (wobei er das College allerdings nach nur einem Semester verließ). Dieser zwiefache Hintergrund zeigt sich in allen seinen Texten. Delany wurde als eines der jungen Wunderkinder der Science Fiction berühmt, wenngleich umfangreiche Teile seines ersten Romans erst vor Kurzem unter dem Titel Voyage, Orestes! [A Surviving Novel Fragment] (2019; verfasst 1960–63) veröffentlicht wurden. Sein erster publizierter SF-Text war ebenfalls ein Roman, der erschien, als er zwanzig war: The Juwels of Aptor (1962 um ein Drittel gekürzt als Teil eines Doppelbandes; vollständig erstmals 1968; überarbeitet 1971 <Die Juwelen von Aptor, dt. von Uta Münch in: Die Ballade von Beta 2 [Bergisch Gladbach: Bastei-Lübbe, 1985]>). Darauf folgte die Trilogie The Fall of the Towers: Captives of the Flame (1963 als Teil eines Doppelbandes; 1968 überarbeitet unter dem Titel Out of the Dead City), The Towers of Toron (1964 als Teil eines Doppelbandes; 1968 überarbeitet) und City of a Thousand Suns (1965; 1969 überarbeitet), zusammen als The Fall of the Towers (1970 als Sammelband der überarbeiteten Fassungen <Die Türme von Toron [Bergisch Gladbach: Bastei-Lübbe, 1985], dt. von Annette von Charpentier>). Ein weiterer früher Roman war The Ballad of Beta‑2 (1965 als Teil eines Doppelbandes; korrigiert 1977 <Die Ballade von Beta 2, dt. von Annette von Charpentier in: Die Ballade von Beta 2 [Bergisch Gladbach: Bastei-Lübbe, 1985]>).
Die frühen Romane weisen gewisse Gemeinsamkeiten auf, und manche der Themen, die darin eingeführt wurden, finden sich regelmäßig in Delanys Werk wieder. Die Handlungsstruktur entspricht fast ausnahmslos der einer Queste oder einer Form von phantastischer Reise. Häufig kommen körperlich und geistig versehrte Protagonisten vor. Schillernde Details, die zunächst überraschen, aber bei näherer Betrachtung schlüssig sind, werden verwendet, um den gesellschaftlichen Hintergrund der Geschichten auszugestalten. Delanys Interesse an Mythologie tritt in Form metaphorischer Anspielungen auf existierende Mythen zutage oder als Untersuchung der Art und Weise, wie neue Mythen entstehen; von zentraler Bedeutung ist dieses Element bei The Ballad of Beta‑2, wo ein Anthropologiestudent (siehe Anthropologie) die realen Ereignisse untersucht, die einem Volkslied zugrunde liegen, das einer primitiven irdischen Kultur entstammt, die an Bord einer Flotte von Generationenraumschiffen unterwegs ist. Dieser Roman zeigt außerdem ein Interesse an Kommunikation und an Linguistik, beides Themen, die zentrale Bedeutung für Delanys Werk annehmen sollten. Auch in The Fall of the Towers finden sich vielfältige kulturelle Spekulationen, wenngleich die melodramatische Geschichte über Krieg, Mutationen, verrückte Computer und eine bösartige kosmische Intelligenz einigermaßen konventionell ist. Die ursprünglichen drei Bände von The Fall of the Towers spielten auf derselben Erde »nach der Katastrophe« wie The Jewels of Aptor; die Verweise darauf wurden in der überarbeiteten Fassung jedoch entfernt.
Delany veröffentlichte 1966 zwei weitere Romane: Empire Star (1966 als Teil eines Doppelbandes; 1977 mit korrigiertem Text <Imperiumsstern, dt. von Waltraud Götting & Hannes Riffel in: Vor der Revolution [Wittenberge: Carcosa, 2023], hrsg. von Hannes Riffel>) und Babel-17 (1966; 1969 überarbeitet <Babel-17 [Wittenberge: Carcosa, 2023], dt. von Jakob Schmidt>). Beide, vor allem Letzterer, der mit einem Nebula ausgezeichnet wurde, lassen einen merklich höheren Grad an Differenziertheit erkennen. Babel-17 – die Motti der einzelnen Kapitel stammen von Marylin Hacker, mit der Delany von 1961 bis 1980 verheiratet war – handelt von Sprache, Hauptfigur ist eine Dichterin. In einer galaktischen Gesellschaft der Zukunft werden Funksprüche in einer offenbar außerirdischen Sprache empfangen; diese stehen sehr wahrscheinlich in Zusammenhang mit Sabotage und einer außerirdischen Invasion. In einem Großteil des Romans geht es darum, diese Sprache zu entschlüsseln (siehe Linguistik). Delany verficht hier die Sapir-Whorf-Hypothese, dass unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit teilweise auf unserer Sprache beruht; die verschiedenen Gesellschaften in diesem Roman sind weit besser ausgearbeitet als in früheren Werken und werden größtenteils in Form von Gedanken- und Sprachmustern dargestellt.
Darüber hinaus begann Delany 1967, Kurzgeschichten zu verfassen. Gemeinhin wurde er als jemand angesehen, der an vorderster Front der New Wave stand und größeren Wert auf kulturelle Spekulationen legte, auf die Geisteswissenschaften, auf Psychologie und Mythologie als auf Technologie und naturwissenschaftlich orientierte Science Fiction. Die Erzählung »Aye, and Gomorrah …« (1967 in der von Harlan Ellison herausgegebenen Anthologie Dangerous Visions <Gefährliche Visionen [Wittenberge: Carcosa, 2025 (in Vorbereitung)], dt. von Hannes Riffel u.a.> gewann einen Nebula Award, und der Kurzroman »Time Considered as a Helix of Semi-Precious Stones« (in New Worlds [Dezember 1968]) gewann den Hugo und den Nebula. Diese beiden, zusammen mit Babel-17 und The Einstein-Intersection (1967; vollständig 1968 <Das Einstein-Vermächtnis [Wittenberge: Carcosa, 2024 (in Vorbereitung)], dt. von Jakob Schmidt>), das ebenfalls einen Nebula gewann, wurden zusammen in The Complete Nebula-Award-Winning Fiction (1986 als Sammelband) veröffentlicht; eine vollständigere Zusammenstellung seiner Erzählungen findet sich in Driftglass: Ten Tales of Speculative Fiction (1971 <Treibglas. Erzählungen vom Rand der Wirklichkeit [Bergisch Gladbach: Bastei-Lübbe, 1982], dt. von Waltraud Götting>; erweitert 1993 unter dem Titel Driftglass/Starshards; nochmals erweitert 2003 unter dem Titel Aye, and Gomorrah And Other Stories); die endgültige Fassung enthält seine besten Kurzgeschichten.
Bei The Einstein Intersection handelt es sich wohl um Delanys überzeugendstes Werk, zusammen mit dem nächsten Roman Nova (1968; 1969 mit korrigiertem Text <Nova [Wittenberge: Carcosa, 2024 (in Vorbereitung)], dt. von Jakob Schmidt>) und der längeren Erzählung The Star Pit (in Worlds of Tomorrow [Februar 1967]; in Driftglass enthalten). The Einstein Intersection ist ein erstaunlich dichter Text und mit anspielungsreicher Bildsprache gespickt. Die Erde ist menschenleer (wobei nicht erklärt wird, wie es dazu gekommen ist), und eine außerirdische Spezies hat die körperliche Gestalt der Menschen angenommen. In dem Versuch, den Sinn der menschlichen Hinterlassenschaften zu verstehen, von denen sie umgeben sind, eignen sie sich auch menschliche Traditionen an. Avatare von Ringo Starr, Billy the Kid und Jesus Christus treten auf; der Held, ein schwarzer Musiker, dem seine mörderische Machete als Instrument dient, ist Orpheus und Theseus. Das Buch ist eine Glanzleistung, wenn auch eine abgründige, da sich die Verblüffung der Protagonisten, die ihr grundlegend verändertes Leben zu verstehen suchen, nicht selten auf die Leser:innen überträgt; ein Teil des Romantextes beruht auf Delanys Tagebüchern. Nova ist eine Kombination aus der Geschichte von Prometheus und der Gralssage, neu gefasst als über die Maßen einfallsreiche Space Opera/Queste; das Feuer, das vom Himmel herabregnet, das leuchtende Herz des Grals finden sich nur im Herzen einer explodierenden Nova (siehe die Elemente). Geschliffene Rede mischt sich (wie so oft auch im Werk von Delanys Zeitgenossen Roger Zelazny) mit souveränem Slang und Diebesjargon. Hauptfigur des Buches ist ein für Delany typischer Protagonist, der Verbrecher/Ausgestoßene/Musiker/Künstler, dessen literarische Genealogie über Jean Genet (1910–1986) bis zu François Villon (1431–1485) zurückreicht. In einer Rezension von Nova wurde Delany von Algis Budrys als »der beste Science-Fiction-Autor der Welt« bezeichnet (in Galaxy [Januar 1969]). Die Vielfalt der Kulturen in diesem wie in anderen Romanen Delanys bewirkt, dass sich Moral und Ethik relativieren, pluralistisch werden. Unterschiedliche Formen bizarren menschlichen Verhaltens, von denen viele in der US-Gesellschaft jener Zeit als asozial betrachtet wurden, erweisen sich unter den beschriebenen Umständen als völlig naturgemäß. Auch The Star Pit ist ein in hohem Maße strukturiertes Werk; das zentrale Bild darin ist das einer Ameisenkolonie/eines Käfigs/einer Falle/einer Mikroökologie, und eine Flucht von dort wird als etwas betrachtet, das aufs Engste verbunden ist mit emotionaler Verstümmelung, sogar mit Bewusstseinsspaltung.
Delanys nächster Roman – keine Science Fiction, aber mit Elementen des Phantastischen – war der pornographische The Tides of Lust (1973; 1994 unter dem Titel Equinox <Äquinoktikum, [Bellheim: Edition Phantasia, 1997], dt. von Joachim Körber>); der Titel der Erstausgabe stammte nicht von ihm. The Mad Man (1994) und Hogg (1995<Hogg [Bellheim: Edition Phantasia, 2009]. dt. von Joachim Körber>) setzen diese Linie von Delanys Werk fort. In der Bildsprache, die manchmal poetisch ist und oft – gewollt – widerwärtig, vielleicht als ein Baudelaire’sches Initiationsritual, dürfte die Darstellung von extremem Sadomasochismus die meisten Leser:innen schockieren. Mitte der 1970er Jahre wurde auch allgemein bekannt, dass Delany bisexuell ist. In der Tat setzt sich sein ganzes späteres Werk intensiv mit den – faktischen, theoretischen und manchmal verschlungenen – kulturellen Mechanismen von Erotik und Liebe auseinander. Äußerst erhellend hinsichtlich des Zusammenhangs von Delanys eigener Sexualität und der Science Fiction, die er in den 1960ern schrieb, ist sein autobiographisches Werk The Motion of Light in Water: Sex and Science Fiction Writing in the East Village 1957–65 (1988; erweitert 1990 unter dem Titel The Motion of Light in Water: East Village Sex and Science Fiction Writing: 1960–65 <Die Bewegung von Licht in Wasser [Berlin: Golkonda, 2014], dt. von Jasper Nicolaisen>). Es gewann, trotz oder wegen seiner manchmal bestürzenden Freimütigkeit, einen Hugo als bestes Sachbuch.
Die nächsten beiden Romane von Delany waren Dhalgren (1975; 1977 korrigiert; 2001 überarbeitet <Dhalgren [Bergisch Gladbach: Bastei-Lübbe, 1980], dt. von Annette von Charpentier]>) und Triton (1976; 1996 unter dem Titel Trouble on Triton: An Ambiguous Heteroptopia <Triton [Bergisch Gladbach: Bastei-Lübbe, 1981], dt. von Bodo Baumann>). Nach einem Zeitraum von sechs Jahren, in dem Delany kaum oder keine SF veröffentlichte, löste Dhalgren eine Kontroverse aus. Der Roman ist äußerst lang, und seine Kritiker betrachten ihn, im Unterschied zur früheren sparsamen Darstellungsweise, als hemmungslos und ausschweifend. Er wurde ein Bestseller, und andere Kritiker sahen darin Delanys bislang gelungenstes, ambitioniertestes Werk. Ein anonymer Jugendlicher mit Namen »the Kid« kommt in die von Gewalt beherrschte, nihilistische Stadt oder Zone Bellona, wo es keine Ordnung mehr gibt und wo zwei Monde am Himmel stehen, wenngleich in der USA dieser nahen Zukunft sonst offenbar alles normal ist. Er wird zum Künstler, hat Sex und schlägt sich, und bevor er die Stadt verlässt, schreibt er ein Buch, bei dem es sich vielleicht um Dhalgren handelt. Der erste Satz vollendet den letzten Satz, und damit schließt sich ein geheimnisvoller Kreis. Dhalgren ist ein bewusst modernistisches Buch, das in erster Linie von den Möglichkeiten und Schwierigkeiten einer Jugendkultur handelt und teilweise davon, ein Schriftsteller zu sein. Die Struktur von Triton folgt traditionelleren Mustern, aber in mancher Hinsicht ist der Roman ausgefeilter. Er präsentiert eine Folge von Zukunftsgesellschaften, die sich vor allem in Bezug auf ihre Sexualität unterscheiden; der männliche Protagonist, der anfangs einen ziemlich unsensiblen, traditionellen Machismo zur Schau stellt, entscheidet sich am Ende, eine Frau zu werden (siehe Transgender-SF), bleibt aber unzugänglich. Triton (ein Mond des Neptun) ist eine »zwiespältige Heterotopie« mit einer verblüffenden Vielfalt möglicher Lebensformen. Das Buch wirft interessante Fragen auf, über Sexualität sowie über Freiheit im Allgemeinen und über die Freiheit, Entscheidungen zu treffen. Eine Bühnenfassung von Dhalgren mit dem Titel Bellona, Destroyer of Cities des Romans ist eher eine Fortsetzung des Buches denn eine direkte Adaption der Handlung.
Seither hat Delany zwei in sich abgeschlossene Werke veröffentlicht, die für die Science Fiction von Interesse sind. Stars in My Pocket Like Grains of Sand (1984 <In meinen Taschen die Sterne wie Staub [Bergisch Gladbach: Bastei-Lübbe, 1985], dt. von Annette von Charpentier>) ist der erste Band eines projektierten Diptychons, ein exotischer Roman, der in einer galaktischen Zivilisation spielt. Auch hier wirft eine komplexe Handlung Fragen nach dem willkürlichen, engstirnigen Wesen unserer ethischen Erwartungen auf. Delany verwendet Formen bewusst erfahrener Demütigung, um die Argumentation auf die Spitze zu treiben. Wahrscheinlich ist es Delanys bedeutendstes Werk der 1980er Jahre. Die Fortsetzung, die unter dem Titel »The Splendour and Misery of Bodies, of Cities« angekündigt war, wurde nie geschrieben. Through the Valley of the Nest of Spiders (2012; überarbeitet 2019) ist eine außerordentlich ambitionierte Überschreitung und Rekapitulation seiner Werke der vorhergehenden Jahrzehnte in Form der Lebensgeschichte einer Gruppe schwuler Männer während der ersten drei Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts und darüber hinaus.
Im selben Zeitraum veröffentlichte Delany die Neveryon-Serie, die sich als Fantasy ausgibt, konkreter als Sword & Sorcery: Tales of Nevèrÿon (1979; überarbeitet 1988 <Geschichten aus Nimmerya [Berlin: Golkonda, 2012], dt. von Annette von Charpentier>); Neveryóna: Or, The Tale of Signs and Cities: Some Informal Remarks Toward the Modular Calculus, Part Four (1983; überarbeitet 1989 <Nimmeryana [Berlin: Golkonda, 2013], dt. von Annette von Charpentier>); Flight from Nevèrÿon (1985 <Flucht aus Nimmerya [Bergisch Gladbach: Bastei-Lübbe, 1985], dt. von Michael Nagula [Neuausgabe bei Carcosa in Vorbereitung]>; überarbeitet 1989) und The Bridge of Lost Desire (1987; überarbeitet 1989 unter dem Titel Return to Nevèrÿon <Rückkehr nach Nimmerya, dt. von Jasper Nicolaisen [bei Carcosa in Vorbereitung]>). Hinsichtlich der Strategie, mit der die Entstehung von Kultur beschrieben wird, ähneln die Nevèrÿon-Bücher Stars in my Pocket; dabei erfüllen sie die Erwartungen der Leser:innen und unterlaufen sie gleichzeitig. In dem Sinne, dass sie fremdartige Gesellschaften erfinden, sind sie Science Fiction, auch wenn sie im Prinzip Fantasy sind, da sie in einer fernen, phantastischen, vorindustriellen Vergangenheit spielen und bis zu einem gewissen Grad als Kritik an dem von muskelbepackten Barbaren geprägten Genre fungieren wie auch als dessen Neuschöpfung. Delanys Vorstellungen von Bondage beispielsweise sind unendlich anspruchsvoller und schwer fassbarer als, sagen wir, die von John Norman in den Gor-Büchern. Eine Vielzahl von Ideen werden ausgelotet, vom Erotischen bis zum Ökonomischen, wobei das Konzept der Sklaverei in beidem eine Rolle spielt, und das Sklavenhalsband wird zum hervorstechenden erotisch aufgeladenen Symbol; die späteren Bände beziehen sich deutlich auf die Aids-Epidemie. So anspielungsreich, ambitioniert, selbstreflexiv und ernstgemeint diese Bücher auch sind, kehren sie in stilistischer Hinsicht jedoch nicht zu etwas zurück, das an den geistreicheren, zurückhaltenderen, verspielteren Delany der 1960er erinnert; jedenfalls zählen sie zu den zugänglicheren Werken der letzten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts.
Während er (etwa seit 1969) selbst sechs Jahre lang keine fiktionalen Werke verfasste, wandte Delany seine Aufmerksamkeit den Werken anderer zu und unterrichtete gleichzeitig an den verschiedenen Universitäten, die weiter oben genannt wurden. Ein Großteil der kritischen Schriften aus dieser Zeit liegt gesammelt vor, darunter The Jewel-Hinged Jaw: Notes on the Language of Science Fiction (1977), The American Shore: Meditations on a Tale of Science Fiction by Thomas M. Disch – Angouleme (1978), Starboard Wine: More Notes on the Language of Science Fiction (1984) und The Straits of Messina (1989; überarbeitet 2012). 1985 wurde er für seine literaturkritischen Arbeiten mit einem Pilgrim Award ausgezeichnet. Diese Texte sind oft poststrukturalistisch und bis zu einem gewissen Grad postmodernistisch ausgerichtet. Dabei beziehen sie den zeitgenössischen literarischen Kontext in einem Maße ein, der weit über die Science Fiction hinausgeht. Sie mögen wortreich sein, sind aber bedeutsam in ihrem beharrlichen Versuch, die Science Fiction an ihren eigenen Ansprüchen zu messen. Wie Delany in seiner Dankesrede bei der Verleihung des Pilgrim Awards sagte: »Wir müssen lernen, Science Fiction als Science Fiction zu lesen.« Das zweite der genannten vier Bücher, eine Analyse von Struktur und Metaphorik der Kurzgeschichte »Angouleme« (New Worlds Quarterly [1970]; hrsg. von Michael Moorcock) von Thomas M. Disch, ist mit spektakulärer mikroskopischer Penibilität verfasst. In The Straits of Messina sind vor allem Texte versammelt, die Delany ursprünglich als K Leslie Steiner veröffentlichte, ein Pseudonym, das er verwendet, wenn er über seine eigenen Werke schreibt. Ein fünftes literaturkritisches Buch, Wagner/Artaud: A Play of 19th and 20th Century Critical Fictions (1988) hat keinen direkten Bezug zur Science Fiction; ein sechstes Buch, Silent Interviews: On Language, Race, Sex, Science Fiction, and Some Comics (1994) enthält Material, das von Genreinteresse ist, ebenso wie Longer Views (1996), Shorter Views: Queer Thoughts & the Politics of the Paraliterary (1999) und About Writing: Seven Essays, Four Letters & Five Interviews (2005). The Atheist in the Attic: Plus »Racism and Science Fiction« and »Discourse in an Older Sense«: Outspoken Interview (2018), enthält fiktionale wie nichtfiktionale Texte, darunter Delanys ausgereifte Gedanken zu Race in der SF.
Marilyn Hacker und Samuel R. Delany haben zusammen eine kurze Folge von Originalanthologien mit dem Titel QUARK/ herausgegeben, wobei sie den Begriff »speculative fiction« dem der Science Fiction vorzogen und besonderen Wert auf experimentelles Schreiben legten. Der Schrägstrich und die Großschreibung sind ein wesentlicher Bestandteil des Titels.
Im Nachhinein lässt sich die Hypothese aufstellen, dass Delany in seiner Laufbahn immer wieder ein unterschiedliches Publikum angesprochen hat: bis einschließlich Dhalgren, von dem sich allein in den USA über eine Million Exemplare verkauften, ein breite, traditionelle SF-Leserschaft; und danach eine eingeschränktere, vielleicht intellektuellere, mehr universitäre Leserschaft. Es besteht kein Zweifel daran, dass seine Romane und Erzählungen (und seine literaturkritischen Arbeiten) in den 1980ern weniger zugänglich wurden, und die eigentliche Frage hinsichtlich seiner Laufbahn muss lauten, ob es ein Gewinn oder Verlust war, als er sich Ende der 1970er einen komprimierteren Stil zu eigen machte. Von da an fanden sich in seinen erzählerischen Texten mehr Passagen, die polemisch intendiert waren, deren Stichhaltigkeit, vor allem in der konkreten wie symbolischen Darstellung von Unterwürfigkeit, allerdings nicht alle Leser:innen überzeugte. Obwohl die Bewunderer von Delanys früheren Werken hinsichtlich ihres Urteils über seine späteren Werke stark polarisiert sind, ist er keineswegs aus der Wahrnehmung der Öffentlichkeit verschwunden. Die beiden ersten Bände der Nevèrÿon-Serie haben sich jeweils rund eine Viertelmillion Mal verkauft. Dass der Absatz späterer Ausgaben zurückging, mag durchaus an den Widerständen liegen, welche Verlage wie Buchhandel diesen zunehmend und explizit kontroversen Texten entgegenbrachten.
Delany wurde 2002 in die Science Fiction Hall of Fame aufgenommen; 2009 erhielt er für sein Lebenswerk einen Eaton Award, 2014 den Damon Knight Grand Master Award (siehe SFWA Grand Master Award); und 2022 einen World Fantasy Award ebenfalls für sein Lebenswerk. Seine Erzählung »The Hermit of Houston« (F&SF [September/Oktober 2017) gewann in der Kategorie »längere Erzählung« einen Locus Award.
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Mit freundlicher Genehmigung von
John Clute & David Langford
© der Übersetzung 2023 by Hannes Riffel
Redaktion: Jakob Schmidt